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Zusammenfassung der Dissertation

Precision Tube Production Influencing the Eccentricity, Residual Stresses and Texture Developments: Experiments and Multiscale Simulation

Dr.-Ing. Farzad Foadian1,2

1Werkstoffumformung, Institut für Metallurgie, TU Clausthal, Clausthal-Zellerfeld, Deutschland
2Institut de physique et chimie des matériaux de Strasbourg, Universität Strasburg, Frankreich

Bei der Herstellung von Rohren ermöglicht die Verringerung von Wanddickenschwankungen, beschrieben durch die Rohrexzentrizität, Materialeinsparungen und damit – für materialkostenintensive Werkstoffe – deutliche Kosteneinsparungen. Je höher man die Anforderungen an die Maßhaltigkeit stellt und je weiter man in den Toleranzvorgaben eingeschränkt wird, desto stärker müssen korrigierende Mechanismen in Anspruch genommen werden, die sich direkt auf die Homogenität der Werkstoffeigenschaften und nicht zuletzt auf die lokale Eigenspannungsverteilung auswirken, desto stärker lokalisieren sich ihre Auswirkungen und umso wichtiger wird ihre Quantifizierung. Das Resultat ist eine verbesserte Materialeffizienz, die zu einer Einsparung von Rohstoffen führt. Des Weiteren ist es für bestimmte konstruktive Anwendungen wünschenswert, lokale Inhomogenitäten zu erzeugen. Als Beispiel hierfür sei eine angepasste Wanddickenverteilung zur Fertigung gebogener Rohrabschnitte genannt, bei denen eine Verdickung der Wandung im Außenbereich der Biegung ein frühzeitiges Ausdünnen verhindert. Außerdem kann eine lokale Variation der Wanddicke und Exzentrizität über die Rohrlänge ebenfalls wünschenswert sein.

Ziel des Vorhabens war es deshalb, eine qualitative und quantitative Erfassung der Möglichkeiten zur lokalen Beeinflussung der Rohrwanddicke – in erster Linie um vorhandene Dickenabweichungen über den Rohrumfang zu reduzieren – vorzunehmen. Dazu wurde der Effekt der Matrizenkippung und/oder der Verschiebung des Rohres (Versatz) auf die Exzentrizität untersucht. Dabei waren nicht nur die Einstellung der Exzentrizität und der Eigenspannungen das Ziel, sondern auch die Kontrolle dieser beiden Parameter. Die gewählte Vorgehensweise war eine Kombination aus Simulation und experimentellem Teil. Diese beiden Ansätze wurden weitestgehend parallel durchgeführt.

Rohrziehuntersuchungen unter Variation des Kippwinkels und Versatzes für unterschiedliche Werkstoffe mit unterschiedlichen Ausgangseigenschaften sind zeit- und kostenintensiv. Darüber hinaus können nicht alle Kombinationen experimentell untersucht werden. Um dieses Problem zu überwinden und das Verfahren besser zu verstehen, wurde ein Simulationsmodell entwickelt, das wesentliche Eigenschaften der Ausgangsmaterialien – Exzentrizität, Eigenspannungen, Textur, und mechanische Eigenschaften – berücksichtigen kann und damit in der Lage ist, komplexere Prozesssituationen zu analysieren. Darüber hinaus bietet das Modell die Möglichkeit, auch die Texturentwicklung im Rohr mit und ohne Kippung zu beschreiben, ohne dass aufwändige Neutronen-, Synchrotron- oder Elektronenmessungen durchgeführt werden müssen. Zur Zielerreichung wurde ein Multiskalen-Simulationsansatz, basierend auf dem Integrated Computational Material Engineering (ICME), verwendet. Seine Entwicklung stellt den zweiten wesentlichen Fokus dieser Arbeit dar.

Die Messung der Wandstärke von Rohren unterschiedlicher Materialen – Kupfer, Aluminium, Messing und Stahl – sowie die Messung und Berechnung der Exzentrizität wurden vorrangig durchgeführt. Die Basisuntersuchungen wurden an Kupferrohren durchgeführt. Zur Erweiterung und Validierung der Ergebnisse wurden die anderen Sorten herangezogen. Es wurden unterschiedliche Kippwinkel und Versatzeinstellungen an den Rohren gewählt. Die rekristallisierend geglühten Kupferrohre wurden mehrfach gezogen, um den Effekt der Kaltverfestigung auf die Exzentrizitätsänderung zu erfassen.

Die Ergebnisse der Kippung haben gezeigt, dass es möglich ist, die Exzentrizität kontrolliert zu beeinflussen und die Rohrwanddicke lokal sowohl zu reduzieren wie auch aufzudicken. Eine Kippung von -5° – das negative Vorzeichen bedeutet, dass die minimale Wandstärke des Rohres in der Kipprichtung lag – führte beim ersten Ziehen zu einer Reduzierung der Exzentrizität um ca. 50%. Im Vergleich dazu führte der Standardziehprozess (0°) lediglich zu einer Exzentrizitätsabnahme von ca. 1%, ein Kippwinkel von +5° führte zu einer Exzentrizitätserhöhung (Aufdickung) von ca. 50% im Max-Bereich. Die Einführung eines Kippwinkels in den Ziehprozess ändert die benötigte Ziehkraft nicht wesentlich. Ein ähnliches Verhalten konnte bei einer Verschiebung (Versatz) des Rohres aus der Ziehachse beobachtet werden. Ein Versatz von -6 mm führt zu einer Reduzierung der Exzentrizität um ca. 25%. Kippung und die Verschiebung wurden außerdem in Kombination untersucht. Neben den Kupferrohren wurden stichprobenartig auch die übrigen Werkstoffe Ziehversuchen mit Kippung unterworfen; der Versatz wurde bei ihnen nicht untersucht. Aluminium und Messing zeigten ein dem Kupfer sehr ähnliches Verhalten, die Untersuchungen an Stahlrohren jedoch zeigten deutliche Unterschiede.

Zur Untersuchung des Einflusses von Kippung/Versatz beim Rohrzug auf die Ausbildung von Eigenspannungen wurden diese überwiegend mittels der Bohrlochmethode (zerstörend, oberflächennah) und – an ausgewählten Proben – mit Hilfe der Neutronenstrahlung (zerstörungsfrei, lokal über die Wandstärke) untersucht. Die Ergebnisse zeigten für alle Werkstoffe, dass bei einem Kippwinkel von 5° (sowohl positiv als auch negativ) die erreichten Eigenspannungen im Bereich des ersten Auftreffens des Rohres auf die Matrize (gegenüber der Kipprichtung der Matrize) geringer als im Standardziehverfahren sind. Um die Entwicklung der Eigenspannungen während des Rohrziehens zu verfolgen, wurden Stecker (Interrupted drawn tube) gezogen und präpariert und am SALSA Instrument in Grenoble, Frankreich, untersucht. Der Vorteil einer solchen Probe ist, dass die Bedingungen im Anlieferungszustand, im Ziehbereich und am gezogenen Rohr innerhalb einer Messung erfasst werden können. Die Daten des Rohres im Ausgangszustand wurden als Eingangsgröße für die Simulation genutzt. Die Betrachtung der Umformzone bei -5°-Kippung zeigte, dass sich die Umfangseigenspannungen im Gegensatz zu den axialen Eigenspannungen signifikant änderten (im Bereich des ersten Kontakts), was auf den Massenfluss in Umfangsrichtung zurückgeführt werden kann. Dieser Massenfluss ist der Schlüssel zur Kontrolle der Entwicklung der Exzentrizität beim Rohrziehen.

Parallel zur Untersuchung der Exzentrizität und der Eigenspannungen wurden die Anisotropie der gezogenen Rohre und deren kristallographische Entwicklung untersucht. Damit sollte zum einen das Verständnis zum Einfluss der Kippung auf das anisotrope Verhalten des Rohres verbessert werden und zum anderen bestätigt werden, dass nach dem Rohrziehen mit Kippung keine wesentlich geänderte Richtungsabhängigkeit der Eigenschaften vorliegt. Dazu wurden die Makro- und Mikro-Texturen vor und nach dem Ziehen und mit und ohne Kippung untersucht. Die Makro-Textur ermöglicht den Vergleich verschiedener kristallographischer Orientierungen vor und nach dem Ziehen. Die Mikrostruktur wurde bestimmt, um mögliche Inhomogenitäten der Textur über die Wanddicke der Rohre erkennen zu können.

Die Makrotextur der Stecker wurde sowohl am Synchrotron als auch mittels Neutronenstrahlung am HEMS und dem STRESS-SPEC Instrument gemessen. Eine Analyse der Hauptorientierungen erfolgte durch Darstellung der PF- und ODF-Ergebnisse. Es lässt sich festhalten, dass die ODF- und PF-Intensitäten bei Kippung leicht reduziert waren. Jedoch gab es keinen signifikanten Unterschied zwischen den ohne und mit Kippwinkel gezogenen Rohren! Die Mikrotextur der Rohre wurde mittels Elektronenbeugung mit der EBSD-Methode untersucht. Die experimentelle Durchführung des Rohrziehens unter Verwendung unterschiedlicher Werkstoffe mit unterschiedlichen Eigenspannungen und Texturen, mit unterschiedlichen Kippwinkeln und Versätzen, ist sehr zeitaufwändig und teuer, besonders dann, wenn eine Vielzahl an Kombinationen untersucht werden sollen. Um hier eine Variabilität zu gewährleisten und um das Prozessverständnis zu verbessern, wurde ein Simulationsmodell entwickelt. Die Eingabewerte des Modells sind die Eigenschaften des Ausgangsrohres wie die Exzentrizität, Eigenspannungen, die Textur die und mechanischen Kennwerte. Zur Entwicklung des Modells wurde eine Multiskalen-Simulationsmethode mit ICME-Ansatz genutzt.

Um die für die Simulation erforderlichen Eingaben zu erhalten, wurden unterschiedliche Simulationslängen genutzt. In der „Electronic Scale“-Simulation, wurde die Density Functional Theory (DFT) verwendet und der Gitterparameter und der Kompressionsmodul bestimmt. Die Berechnung dieser beiden Parameter ermöglichte die Ermittlung des optimalen k-Punktes (Netz) für die DFT Simulationen. Da Versetzungen ein sehr wichtiger Parameter bei der Definition des Härtungsverhaltens eines Materials sind, wurden außerdem anteilige und perfekte GSFEs bestimmt. Die genannten Parameter wurden der atomar skalierten Simulation zugeführt. Um das für die MD-Kalkulationen benötigte Potential zu erreichen, wurde MEAM verwendet. Darüber hinaus wurden mittels MEAM-Kalkulationen die elastischen Konstanten von Kupfer berechnet. C_11, C_12, und C_44 wurden zu 170.20, 127.19 und 80.20 GPa bestimmt. Die MEAM Kalkulationen wurden mit Hilfe der DFT-Ergebnisse kalibriert. Nach der Kalibrierung der MEAM-Ergebnisse wurde das Potential von Kupfer erstellt und für die MD-Kalkulationen importiert. Die MD-Berechnungen wurden dazu verwendet, die Versetzungsbewegungen bei unterschiedlichen aufgebrachten Schubspannungen zu berechnen. Für jede Geschwindigkeit wurde außerdem der Widerstandsbeiwert (drag coefficient) berechnet, der sich zu 2.56 × 10^(-5) Pa.s ergab.

Die elastischen Konstanten und Widerstandsbeiwerte wurden direkt auf die FEM-Simulationen übertragen, während die Versetzungswanderungen auf eine größere Skala, mittels DD, auf mikroskalierte Simulationen übertragen wurden. Unter Nutzung der DD-Simulationen wurden die Härtungskenngrößen des Palm-Voce-Härtens bestimmt. κ_s , h_0, und κ_0 wurden zu 148, 180 und 16 MPa berechnet. In der meso-skalierten Simulation wurde der CP-Ansatz in Form einer UMAT -Subroutine angewendet. Ein FEM-Modell wurde mittels Abaqus Software entwickelt. Die folgenden Größen wurden in das Modell importiert:

  • Messwerte des äußeren Rohrdurchmessers
  • Messwerte der Wandstärken der Rohre und Exzentrizität
  • Mittels Neutronenstrahlung gemessene Eigenspannungen
  • Mittels Neutronenbeugung gemessene global (global-gesamte, umfassende) Makrotextur
  • Anisotroper elastischer Tensor von Kupfer, berechnet mittels MEAM (atomar skalierte Simulation)
  • Drag coefficient, berechnet mittels MD (Atomskalen-Simulation)
  • Härtungsparameter, berechnet mittels DD (Mikroskalen-Simulation)
  • Parameters of slipping rate

Mittels berechneter und gemessener Exzentrizität, Eigenspannungen, Spannungs-Dehnungs-Diagrammen und Texturen konnten die Ergebnisse des FEM-Models erfolgreich validiert werden. Damit liegt ein Simulationstool vor, das den Rohrziehprozess bei Einsatz unterschiedlicher Kippwinkel und Versätze für unterschiedliche Werkstoffe und Ausgangsbedingungen (Eigenspannungen und Texturen) hinsichtlich seiner Auswirkungen auf das Endprodukt zuverlässig beschreibt.